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Der "Schweinekrieg" von Siek

1985 war eigentlich ein ruhiges Jahr. Meine Eltern feierten Ende Januar ihre Silberhochzeit. Ende März habe ich die Höhere Landbauschule beendet und darf mich seitdem „Staatlich geprüfter Landwirt“ nennen. Mitte Juni erfolgte die Meisterprüfung, seitdem bin ich Landwirtschaftsmeister. Irgendwie war ich auch froh, die Schule hinter mir zu haben, endlich brauchte ich morgens erst um 6 Uhr aufstehen. Im Stall haben wir im Sommer über die Entmistungsanlage erweitert, draußen einen 2. Entmistungsturm aufgestellt, so dass der Mist nicht mehr von Hand ausgebracht werden musste (außer den Kälberbuchten) – eine wesentliche Arbeitserleichterung.

1985 waren wir auch auf Suche nach neuem Land. In den Vorjahren hatten wir Land zur Erweiterung der Autobahn verkaufen müssen, der Bund hätte uns die Fläche enteignen können. Von einer Fläche in unserer Nähe hatten wir erst nach deren Verkauf etwas erfahren, hier musste auch die Pacht entschädigt werden, was für uns uninteressant war. Hätte man den weiteren Verlauf der Geschichte vorher gewusst …

Im Sommer hatte unser Nachbar uns gefragt, ob wir nicht seine Ländereien kaufen wollten. Eigentlich war die Sache zu groß für uns, aber wir versuchten unser möglichstes. Dafür wollten wir unsere Koppel an der Autobahn verkaufen und zusätzlich einen Kredit aufnehmen. Die Fläche wurde Anfang der 80er Jahre von Siek nach Großhansdorf umgemeindet, und die Fehler, die damals gemacht worden sind, wurden uns jetzt zum Verhängnis. Die Gemeinde Großhansdorf wollte die Fläche gerne erwerben zur Erweiterung der Sportfläche, und die Gemeinde Siek brauchte Geld für eine neue Mehrzweckhalle, so kam es zu einer Gebietsreform mit der Umgemeindung. Die Gemeinde Großhansdorf nahm aber von ihren Plänen Abstand, und nun erst, beim geplanten Verkauf, erfuhren wir, dass die Fläche mit erheblichen Einschränkungen bedacht worden war, ein Verkauf wurde unmöglich. Als Schuldigen habe ich den damaligen Bürgermeister Karl Fach angesehen, er hätte uns über die Einschränkungen informieren müssen, hatte es wegen der zu erwartenden Geldeinnahme aus Großhansdorf aber unterlassen. So konnten wir nicht mehr mitbieten, und die Flächen unseres Nachbarn gingen an einen Landwirt aus Barsbüttel, Christian Röhr, der zuvor Bauland verkauft hatte. Allerdings hatte er durch unser Mitbieten einen höheren Kaufpreis bezahlen und zusätzlich die bestehende Verpachtung mitübernehmen müssen, worüber er nicht erfreut war.

Im Herbst erfuhren wir, Christian Röhr wolle in der Sieker Feldmark einen neuen Hof aufbauen, und zwar auf der Fläche in unserer Nähe, die ich zuerst erwähnt habe, die hatte er nämlich auch gekauft. Eigentlich ging uns die Sache gar nichts an, die Fläche liegt ein paar hundert Meter von unserem Betrieb entfernt, und die Zuwegung sollte über eine Kreisstraße erfolgen. Leider hatte der Kreis Stormarn dieses Vorhaben abgelehnt, weil die Zuwegung über den Radwanderweg geführt hätte, und das wollten sie nicht.

Daraufhin legte Christian Röhr einen neuen Bauantrag auf den Tisch, der uns doch etwas anging und die Sieker Bevölkerung empörte. Er wollte auf der gleichen Fläche bauen, nur am anderen Ende, und die Zuwegung sollte über einen landwirtschaftlichen Feldweg führen, der in das Wohngebiet mündet, von dem meine Hofstelle umschlossen ist. Leider hatte er den Fehler gemacht, Anträge zu stellen zum Bau von Ställen für Schweine- und Bullenmast, obwohl er einen reinen Ackerbaubetrieb hatte und keinen Stallbau plante. Er wollte nur durch Angabe von Viehhaltung erreichen, so weit außerhalb des Dorfgebietes bauen zu dürfen, was ihm als reiner Ackerbaubetrieb nicht genehmigt worden wäre. Was für die Landwirte eine „normale“ Größe der Viehhaltung war, empfand die übrige Bevölkerung als eine „Mastfabrik“, weil sie derartige Größenordnungen in Siek nicht kannte. Zur Verdeutlichung des Problems folgende Skizze von Siek:



Die Fläche, auf der Christian Röhr bauen wollte, ist am östlichen Rand zu finden. An seiner südlichen Seite befindet sich der Randwanderweg und eine Kreisstraße, der Kreis hatte diese Zuwegung verweigert. Der Feldweg endet in Richtung Osten in eine Sackgasse, hier ist kein Weg möglich. Nach Norden hätte ein Weg über eine Koppel gebaut werden müssen, der mehrere hundert Meter lang gewesen wäre und mehrere hunderttausend DM gekostet hätte.
Außerdem wäre ein Anschluss an die nächste Kreisstraße erforderlich, und eine Genehmigung vom Kreis war kaum zu erwarten. Als einzige Möglichkeit der Zuwegung blieb nur noch der Feldweg in Richtung Westen übrig, durchs Wohngebiet.

Das hätte aber fatale Folgen für uns gehabt. Der Weg hätte für Schwerlastverkehr ausgebaut werden müssen, und der hauptsächliche Anlieger auf dieser Strecke sind wir. Die Gemeinde Siek hätte den Ausbau bezahlen müssen und hätte Anliegergebühren kassiert, als größter Anlieger hätten wir über hunderttausend DM bezahlen müssen, ohne überhaupt irgendeinen Nutzen davon zu haben. Durch den Verkauf der Fläche an die Autobahn kannten wir unsere rechtliche Position, für ein nicht-öffentliches Bauvorhaben wie den neuen Hof konnten wir nicht enteignet werden, die nächsten Jahre hätten zu zahlreichen Rechtsstreitigkeiten geführt.

So saßen wir Ende des Jahres 1985 zwischen den Stühlen. Auf der einen Seite galt es, einen Berufskollegen gegen ungerechtfertigte Angriffe zu unterstützen. Leider war nun Wahlkampfzeit für die Kommunalwahl am 2. März 1986. Ein Propagandablatt der „Wählergemeinschaft Sieker Bürger“:

Dies ist nur ein Beispiel, mit welchen verunglimpfenden Methoden gearbeitet wurde. Die Vorwürfe entbehren jeglicher Grundlage und sind ein Schlag ins Gesicht jedes Landwirts.

Auf der anderen Seite mussten wir hoffen, dass das Bauvorhaben abgelehnt wird, damit nicht der Feldweg auf unsere Kosten ausgebaut wird, es hätte ruinöse Auswirkungen für uns haben können, auch ein jahrelanger Rechtsstreit wäre sicherlich an die seelische Substanz gegangen.
Die Situation war nicht angenehm, weil keine Partei für Argumente zugänglich war.

Die Situation hatte sich bereits im Dezember 1985 zugespitzt. Zu Beginn einer Versammlung des Gemeinderates hatten der Bürgermeister der CDU, Heinz Menzel, und drei weitere CDU-Mitglieder ihre Posten niedergelegt und ihren Austritt erklärt, wegen des Streites innerhalb der CDU-Fraktion. Somit blieben in der CDU nur noch zwei Menschen nach: Karl Fach, der ehemalige Bürgermeister und zu dieser Zeit Amtsvorsteher, und seine Nichte Uta Leussink. Neuer Bürgermeister wurde nun von der SPD Klaus Burwitz, der ärgste Widersacher des neuen Betriebes Christian Röhr, wohnhaft im Wohngebiet welches am stärksten betroffen gewesen wäre vom „Massenschweinehaltungsbetrieb“. Leider habe ich den Zettel seiner Frau nicht mehr, den sie an alle Haushalte verteilt hat. Ich kann mich nur noch an den letzten Satz erinnern: „Mich ekelt jeder an der sein Geld mit Tieren verdient“.

Nun begann eine nicht erwartete Entwicklung innerhalb der CDU, die Mitgliederzahl stieg innerhalb eines Monats von 31 auf 135 Mitgliedern an. Die Kandidaten für die nächste Kommunalwahl mussten aufgestellt werden. Die anderen Parteien, SPD, FDP und WSB, waren gegen den neuen Betrieb eingenommen, und bei der CDU drohte das gleiche Schicksal, mit der Folge, die Interessen von Bauern im Bauerndorf Siek wären gänzlich unter dem Tisch gefallen. So sind viele Menschen in die CDU eingetreten, auch ich. Bei der letzten Kommunalwahl war Karl Fach für seine Politik abgestraft worden, er verlor den Posten des Bürgermeisters. Und nun wollte er wieder Bürgermeister werden, und dieses galt es zu verhindern. Für viele, so auch für mich, kam nun endlich die Gelegenheit, mit ihm abzurechnen und ihn in den politischen Ruhestand zu schicken.

Die Kandidatenaufstellung der CDU fand am 16. Januar 1986 in unserer Gaststätte statt. Dieses Datum weiß ich noch ganz genau, weil der Spitzenkandidat von unserer Seite, Volkmar Teetzmann, an diesem Tag Geburtstag hatte. Als Vorsitzender vom Sportverein war er vielen Leuten im Ort bekannt, er war auch erst vor kurzem in die Partei eingetreten, hatte mit den streitenden Parteien nichts zu tun, und war deswegen unser Mann für einen neuen Kurs in der CDU. Die andere Seite hatte natürlich Karl Fach nominiert. Es war zwar ein turbulenter Abend, aber unsere Kandidaten wurden mit etwa zwei Drittel der Stimmen für die Wahl nominiert. Die „Ahrensburger Zeitung“ berichtet wie folgt:

Was folgte war eine gnadenlose Schlammschlacht.

Die Wählergemeinschaft hatte mit ihren polemisch geführten Wahlkampf viel Erfolg bei der Sieker Bevölkerung, während die CDU bei der Wahl große Verluste hinnehmen musste.

Nach der Wahl beruhigte sich das Klima. Viele Äußerungen wurden bedauert, und die Anzeige gegen die WSB wegen Volksverhetzung fallengelassen. Nun musste das Verwaltungsgericht in Schleswig den Streit zwischen der Gemeinde Siek und Christian Röhr richten. In erster Instanz hat Herr Röhr gewonnen.

Wie entwickelte sich nun unser persönliches Verhältnis zu Christian Röhr?
Im Sommer 1986 waren wir wieder Konkurrenten im Kampf um Land, und diesmal waren wir die Sieger, weil wir auch das Grünland mitkauften. Wir hatten ihm Ersatzland im Tausch mit seiner Fläche angeboten, wo er wesentlich dichter an der anderen Kreisstraße gewesen wäre, aber er wollte nicht darauf eingehen. Zum einen wähnte er sich im Recht, weil er die erste Runde vor Gericht gewonnen hatte, zum anderen wurmte ihn die Niederlage beim Bieten ums Land. Er selber hatte noch Schiedsleute mit an den Tisch geholt, aber als sie unsere Auffassung bestätigten wollte er von nichts mehr wissen. Im Grunde genommen ging es nur noch um Kleinigkeiten, aber er konnte nicht nachgeben.

Natürlich gaben die Sieker Gemeindevertreter nicht auf, der Streit ging in die 2. Runde.

Das Augenmerk richtete sich nun auf den Feldweg, der den Schwerlastverkehr nicht aufnehmen konnte. In den nächsten Monaten gab es viele Protestaktionen in den anliegenden Wohnstraßen. Im Mai 1987 nahmen die Gegner des Betriebes Röhr das Amtsfeuerwehrfest zum Anlass, um eine Protestaktion zu starten. Mein Vater war zu dieser Zeit Wehrführer der Freiwilligen Feuerwehr Siek, die Ausrichter dieses Festes war. Es sollte, wie üblich, ein Festumzug durchs Dorf mit allen Feuerwehren stattfinden, woran sich jeder anschließen konnte wer wollte. Am Abend vor dem Umzug wurden aber entlang der geplanten Strecke überall Plakate und große Tücher aufgehängt mit deren Parolen wie „Gülle ist Mord an unserem Ort“ und „Unsere Bauern sind uns lieb und teuer, was will da ein Neuer?“. Hier sollte eine Organisation, die friedlich ist und nichts mit den Streitereien zu tun hat, für politische Zwecke missbraucht werden. Hier hatte die Leitung der Feuerwehr clever reagiert: In Absprache mit der Polizei wurde die Strecke des Umzugs geändert, so dass die Protestaktion ins Leere verlief. Bis zum heutigen Tage, wo diese Zeilen geschrieben werden (November 2003), ist dieses Amtsfeuerwehrfest das letzte in Siek gewesen, bei 9 Wehren im Amtsbereich …

Mehrere Gerichtstermine vor dem Oberverwaltungsgericht wurden angesetzt, davon einige Ortstermine, wo jedes Mal von den Anwohnern die Straßen regelgerecht vollgeparkt wurden, um auf ihre Meinung aufmerksam zu machen. Im Sommer 1988 gewann die Gemeinde die zweite Runde vor Gericht. Daraufhin zog Christian Röhr seinen Bauantrag zurück und kaufte sich in einer anderen Gemeinde einen neuen Hof, außerhalb des Dorfes gelegen, mit den Stallgebäuden die er haben wollte.

Zu guter Letzt hatte dieser Ausgang dieses Streits für uns auch eine positive Seite. Herr Röhr verkaufte die ehemaligen Flächen unseres Nachbarn an die Landgesellschaft Schleswig-Holstein, von denen wir die eine Hälfte der Flächen eintauschen konnten, abgegeben haben wir dafür die Fläche in Großhansdorf und bis dieses Jahr (2003) wiedergepachtet. Dadurch konnten wir unsere Betriebsfläche arrondieren und eine Vergrößerung der Milchviehhaltung sowie ein Stallneubau im Außenbereich planen. Warum sich unsere Pläne zerschlagen haben erzählt die nächste Geschichte „Gewerbegebiet und Umgehungsstraße in Siek“.

Was ist aus den Hauptbeteiligten geworden?
Christian Röhr bewirtschaftet weiterhin seine Flächen in Siek, die eine die ihm immer noch gehört, und die Pachtflächen die er über 20 Jahren schon gepachtet hat. Bis jetzt hat er noch keinen Tropfen Gülle gefahren, weder sind die Grundstücke der Sieker Bürger im Wert gesunken noch ist die Umwelt irgendwie belastet worden. Die Vorwürfe der WSB waren reiner blanker Unsinn.
Die WSB hatte bei der nächsten Kommunalwahl 1990 nur noch 2 Sitze im Gemeinderat erreicht, um bei der nächsten Kommunalwahl 1994 nicht mehr anzutreten, sie löste sich ganz auf. Die CDU steigerte bei jeder Wahl ihren Stimmenanteil kontinuierlich und hat bei der letzten Kommunalwahl 2003 wieder die absolute Mehrheit erreicht.
Bürgermeister Burwitz blieb bis zur Kommunalwahl 1994 im Amt, seitdem stellt die CDU wieder den ersten Mann im Ort.
Karl Fach hat sich seit seiner Abwahl von der Sieker Bevölkerung isoliert. Im August 2003 hat er in seinem Wohnhaus zuerst seine Frau und dann sich selbst erschossen. Möge wenigstens der Herrgott seiner Seele gnädig sein.